Leben & Werk - Chronik

ALFRED DÖBLIN 1878 - 1957

10. August 1878: Geburt Alfred Döblins in Stettin als viertes und vorletztes Kind jüdischer Eltern, des Schneidermeisters Max Döblin (1846-1921) und seiner Frau Sophie, geb. Freudenheim (1844-1920).

1888: Döblins Vater verlässt Frau und Kinder; die Mutter zieht mit ihren fünf Kindern nach Berlin.

1891-1900: Besuch des Köllnischen Gymnasiums in Berlin. Ausbildung literarischer, philosophischer und musikalischer Neigungen. Lektüre Kleists, Hölderlins, Dostojewskijs, Schopenhauers, Spinozas, Nietzsches. Entstehung erster literarischer und essaysistischer Texte, darunter Modern. Ein Bild aus der Gegenwart (1896).

1900: Niederschrift des ersten Romans Jagende Rosse (zu Lebzeiten unveröffentlicht).

1900-1905: Medizinstudium in Berlin und Freiburg i.Br. Beginn der Freundschaft mit Herwarth Walden und Else Lasker-Schüler. Entstehung des zweiten Romans Worte und Zufälle (1902/03; als Buch 1919 unter dem Titel Der schwarze Vorhang veröffentlicht), zweier kritischer Nietzsche Essays (1902/03) und mehrerer Erzählungen, darunter Die Ermordung einer Butterblume. 1905 Promotion bei Alfred Hoche mit einer Studie über Gedächtnisstörungen bei der Korsakoffschen Psychose.

1905-1906: Assistenzarzt an der Kreisirrenanstalt Karthaus-Prüll, Regensburg. 1906 erscheint die Groteske Lydia und Mäxchen. Tiefe Verbeugung in einem Akt als seine erste Buchveröffentlichung.

1906-1908: Assistenzarzt an der Berliner Städtischen Irrenanstalt in Buch. Beginn der Liebesbeziehung zu der Krankenschwester Frieda Kunke (1891-1918). Wissenschaftliche Publikationen in medizinischen Fachzeitschriften.

1908-1911: Assistenzarzt am Städtischen Krankenhaus Am Urban in Berlin. Dort lernt er die Medizinstudentin Erna Reiss (1888-1957), seine spätere Frau, kennen.

1910: Herwarth Waldens Zeitschrift 'Der Sturm' beginnt zu erscheinen. Döblin gehört bis 1915 zu ihren wichtigsten Mitarbeitern.

1911: Eröffnung einer Kassenpraxis am Halleschen Tor in Berlin (zunächst als praktischer Arzt, später als Nervenarzt und Internist). Geburt von Alfred Döblins und Frieda Kunkes Sohn Bodo Kunke in Berlin.

1912: Heirat mit Erna Reiss. Austritt aus der jüdischen Gemeinde. Geburt des Sohnes Peter. Bekanntschaft mit Ernst Ludwig Kirchner. Der erste Novellenband Die Ermordung einer Butterblume erscheint.

1913: Einzeldruck der Erzählung Das Stiftsfräulein und der Tod mit Holzschnitten von Kirchner.

1914: Vertragsabschluß mit dem S. Fischer Verlag, in dem Döblin bis 1933 seine Hauptwerke veröffentlicht.


Alfred Döblin. Kinderfoto um 1888

 

 

 


Döblin als Assistenzarzt. Um 1910



Militärarzt in Saargemünd. Januar 1915

 


Umschlag der Erstausgabe. 1920

1915-1918: Nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs Militärarzt in Saargemünd/Lothringen bis 1917, dann in Hagenau/Elsaß. Geburt der Söhne Wolfgang (1915) und Klaus (1917).

1916: Beginn der Arbeit an einem Roman über den Dreißigjährigen Krieg. Erscheinen des "chinesischen Romans" Die drei Sprünge des Wang-lun. Döblin erhält dafür den Fontane-Preis.

1917: Auslieferung des Prosabandes Die Lobensteiner reisen nach Böhmen. Zwölf Novellen und Geschichten.

1918: Der 1914 entstandene Berliner Roman Wadzeks Kampf mit der Dampfturbine erscheint. Im November Rückkehr nach Berlin. Intensivierung des politischen Journalismus. Sympathiebekundungen für die Revolution.

1919-1931: Wohnung und Kassenpraxis in der Frankfurter Allee 340.

1919: Döblins Schwester Meta kommt bei den Berliner Unruhen vor dem Kapp-Putsch ums Leben. Arbeit als Redakteur der 'Neuen Rundschau' (bis April 1920).

1919-1924: Politische und zeitkritische Glossen unter dem Pseudonym Linke Poot (z.T. gesammelt in dem Band Der deutsche Maskenball, 1921).

1920: Der während des Krieges geschriebene Roman Wallenstein erscheint in zwei Bänden.

1921: Beginn der Freundschaft mit der Photographin Yolla Niclas (1900-1977).

1921-1924: Berliner Theaterreferent für das 'Prager Tagblatt'.

1923: Als Vertrauensmann der Kleiststiftung verleiht Döblin den Kleistpreis an Wilhelm Lehmann und Robert Musil.

1924: Der Zukunftsroman Berge Meere und Giganten und die Kriminalstudie Die beiden Freundinnen und ihr Giftmord erscheinen. Döblin wird erster Vorsitzender des "Schutzverbandes Deutscher Schriftsteller". Rundreise durch Polen (Sept. bis Nov.).

1925: Der Bericht Reise in Polen erscheint. Aktive Beteiligung an der "Gruppe 1925", einem Zusammenschluß linksliberaler und kommunistischer Autoren.

1926: Mit Bertolt Brecht und Arnolt Bronnen Lesung in Dresden. Festvortrag zum 70. Geburtstag Sigmund Freuds vor der Deutschen Psychoanalytischen Gesellschaft. Nach Inkrafttreten des sog. Schund- und Schmutzgesetzes Distanzierung von der SPD. Geburt des jüngsten Sohnes Stefan.

1927: Das Versepos Manas erscheint und wird von Robert Musil enthusiastisch besprochen. Veröffentlichung der naturphilosophischen Schrift Das Ich über der Natur. Im Herbst Beginn der Arbeit an Berlin Alexanderplatz

1928: Festschrift des S. Fischer Verlages zu Döblins 50. Geburtstag. Wahl in die Sektion für Dichtkunst der Preußischen Akademie der Künste. Vortrag Der Bau des epischen Werks im Auditorium Maximum der Berliner Universität.

1929: Nach dem Vorabdruck in der Frankfurter Zeitung erscheint im Oktober der Roman Berlin Alexanderplatz. Die Geschichte vom Franz Biberkopf und wird in der Folgezeit zum Welterfolg.

1930: Erfolgreiches Votum für die Verleihung des Frankfurter Goethe-Preises an Sigmund Freud. Hörspielbearbeitung von Berlin Alexanderplatz. Uraufführung des Lehrstückes Die Ehe in München Ende November.

1931: Umzug in den Westen Berlins, Kaiserdamm 28. Verlust der Kassenpraxis. In der Schrift Wissen und Verändern! versucht Döblin eine politische Standortbestimmung der deutschen Intellektuellen. Ab Mai Diskussionsabende, jeweils donnerstags, in Döblins Wohnung. Mitwirkung am Drehbuch für die Verfilmung von Berlin Alexanderplatz. Uraufführung des Films mit Heinrich George in der Hauptrolle im Oktober.

1932: Das "Abenteuerbuch" Giganten, eine Neufassung von Berge Meere und Giganten, erscheint. Beginn der Arbeit an der Babylonischen Wandrung.

1933: Nach dem Reichstagsbrand Flucht in die Schweiz. Die Familie folgt ihm bald nach. Döblin kann im Ausland nicht mehr als Arzt praktizieren. Übersiedelung der Familie nach Paris (Sept.). Das philosophische Hauptwerk Unser Dasein erscheint noch in Berlin, das erweiterte Kapitel über die Jüdische Erneuerung als eigenes Buch im Querido Verlag (Amsterdam).

1933-1940: Französisches Exil. In den ersten Jahren intensive Mitarbeit in jüdischen Organisationen; Engagement für die Freiland-Bewegung. 1936 werden Alfred und Erna Döblin sowie ihre Söhne französische Staatsbürger.

1934: Döblins erster Exilroman Babylonische Wandrung erscheint bei Querido in Amsterdam.

1935: Der autobiographisch grundierte Roman Pardon wird nicht gegeben und die Schrift Flucht und Sammlung des Judenvolks erscheinen ebenfalls bei Querido. Der älteste Sohn Peter wandert in die USA nach New York aus.

1937/38: Beginn der Freundschaft mit dem Germanisten Robert Minder. Die Amazonas-Trilogie wird in zwei Bänden u.d.T. Die Fahrt ins Land ohne Tod (1937) und Der blaue Tiger (1938) vom Querido Verlag veröffentlicht.

1939: Teilnahme Döblins am Kongress des Internationalen PEN-Clubs in New York. Nach Kriegsausbruch Anstellung im französischen Informationsministerium; dort Mitarbeit an der Propaganda gegen Deutschland. Die Söhne Wolfgang und Klaus kommen als französische Soldaten an die Front. Der erste Teil des Revolutionsromans Bürger und Soldaten 1918 erscheint als letztes Buch im Querido Verlag.


Schutzumschlag von Georg Salter

 

 

 

 


Schutzumschlag der Erstausgabe von P.L. Urban



Im amerikanischen Exil

 

 

 

 


In französischer Uniform. Um 1946

1940: Nach abenteuerlicher Flucht durch Frankreich entkommt Döblin mit seiner Frau und dem jüngsten Sohn Stefan über Marseille, Barcelona, Madrid nach Lissabon. Von dort Überfahrt nach Amerika am 7. September. Vom Freitod des Sohnes Wolfgang (21. Juni) auf der Flucht vor den deutschen Truppen erfahren die Eltern erst gegen Ende des Krieges. Ankunft in New York am 9. September.

1940-1945: Döblin läßt sich mit Frau und Sohn im kalifornischen Hollywood nieder, wo er für ein Jahr als Scriptwriter für die Filmgesellschaft Metro Goldwyn Mayer arbeitet. Nach Ablauf des Vertrages erhält er eine Zeitlang Arbeitslosenunterstützung und ist dann von Zuwendungen aus dem "Writers Fund" abhängig.

1941: Alfred, Erna und Stefan Döblin konvertieren zum katholischen Glauben. Peter läßt sich in Philadelphia taufen. Geheimhaltung dieses Schrittes bis 1945. Durch die Andeutung seiner religiösen Neuorientierung auf der Feier zu seinem 65. Geburtstag im August 1943 löst er bei seinen Freunden und Kollegen Irritationen aus und verstärkt seine Isolation.

1942/43: Nach einer schweren Herzattacke längere Bettruhe. Abschluß der Romantrilogie November 1918.

1945: Nach Kriegsende Beginn der Arbeit am Hamlet-Roman. Nach Eintreffen der Visa erfolgt die Rückkehr nach Paris im Oktober. Durch Vermittlung des französischen Germanisten Ernest Tonnelat wird Döblin französischer Kulturoffizier in Baden-Baden, dem Sitz der Militärregierung der französischen Besatzungszone. Rückkehr nach Deutschland am 9. November, zunächst ohne seine Frau. Als "Chargé de Mission" begutachtet er zum Druck vorgelegte Manuskripte und beginnt mit der Vorbereitung einer eigenen Zeitschrift.

1946: Das erste Heft der Zeitschrift Das Goldene Tor erscheint im Oktober. Daneben Buchveröffentlichungen einiger der im Exil entstandenen Werke: Sieger und Besiegte (Auszug aus November 1918), das Religionsgespräch Der unsterbliche Mensch sowie Der Oberst und der Dichter oder Das menschliche Herz. In hoher Auflage werden unter dem Pseudonym Hans Fiedeler Döblins Betrachtungen über den Nürnberger Lehrprozeß gedruckt. Im Oktober Beginn der Sendereihe "Kritik der Zeit" im Südwestfunk.

1947: Im Juli erster Berlin-Besuch nach der Flucht 1933. Ansprache über Unsere Sorge der Mensch im Charlottenburger Schloss. Beim Empfang des "Schutzverbandes Deutscher Autoren" auf Einladung Johannes R. Bechers und Paul Wieglers spricht Döblin im "Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands".

1948: Zweiter Berlin-Besuch. Döblin scheidet nach Erreichen der Altersgrenze ohne Pensionsanspruch aus seinem militärischen Dienstverhältnis aus, gibt aber als Zivilist im Dienst der Direction de l'Education Publique weiterhin Das Goldene Tor heraus. Neben der Festschrift "Alfred Döblin zum 70. Geburtstag" erscheinen eine Neuausgabe von Berlin Alexanderplatz und der erste Teil des November-Romans Verratenes Volk.

1949: Mitwirkung an der Gründung der Akademie der Wissenschaften und der Literatur in Mainz (Vizepräsident). Im September Reise nach Venedig, wo er als Ehrengast am Kongreß des Internationalen PEN-Clubs teilnimmt. Mit der französischen Kulturbehörde Umzug nach Mainz. Der zweite Teil des November-Romans Heimkehr der Fronttruppen sowie die Autobiographie Schicksalsreise. Bericht und Bekenntnis erscheinen. Zunehmende Behinderung durch Krankheit: erste Anzeichen von Parkinson.

1950: Karl und Rosa (= November 1918, Teil 3); Die Dichtung, die Natur und ihre Rolle (Akademievortrag).

1951: Die Zeitschrift Das Goldene Tor muss im sechsten Jahr ihr Erscheinen einstellen. Als erster Band der Akademie-Reihe "Verschollene und Vergessene" erscheint eine Auswahl mit Werken von Arno Holz. Zunehmende Verbitterung über die politische Entwicklung in Deutschland; Döblin fühlt sich boykottiert. Erfolgreiche Staroperation.

1952: Nach massiver Verschlechterung des Gesundheitszustandes erleidet Döblin Ende September einen Herzinfarkt und wird in ein Mainzer Krankenhaus eingeliefert.

1953: Theodor Heuss besucht den kranken Döblin. Dieser unterrichtet Heuss am 28. April über seinen Entschluß der erneuten Emigration: "ich bin in diesem Lande [...] überflüssig". Übersiedelung nach Paris in eine kleine, ein Jahr zuvor gekaufte Wohnung. Fortsetzung der autobiographischen Aufzeichnungen Journal 1952/53.

1954: Das Fortschreiten der Parkinson-Krankheit macht eine Dauerbehandlung in Kliniken und Sanatorien nötig. Großer Literaturpreis der Mainzer Akademie.

1955: Weitere Klinikaufenthalte in Freiburg i.Br. und in Höchenschwand. Noch einmal Rückkehr nach Paris.

1956: Nach schwerer gesundheitlicher Krise Aufnahme im Sanatorium Wiesneck, Buchenbach bei Freiburg. Döblin erhält nun vom Berliner Entschädigungsamt eine monatliche Rente von 500 DM, die jedoch nicht die Pflegekosten deckt. Im September erscheint bei Rütten & Loening in Ostberlin der Roman Hamlet oder Die lange Nacht nimmt ein Ende.

1957: Überführung ins Landeskrankenhaus Emmendingen (1. Juni). Dort verstirbt Alfred Döblin am 26. Juni und wird am 28. Juni im engsten Familienkreis neben seinem Sohn Wolfgang in Housseras (Ost-Vogesen) beigesetzt. Erna Döblin nimmt sich am 15. September in Paris das Leben; sie wird ebenfalls in Housseras beigesetzt.



Anfang der ersten Fassung des >Hamlet< - Romans

 

 



Photographie von Herbert List. 1950